Silber, das wie Gold strahlt

Manchmal entscheiden im Tischtennis nur Millimeter über Sieg oder Niederlage. Es war der zweite Sonntag der Olympischen Spiele, als sich im Riocentro 3 die deutschen Tischtennis-Damen weinend vor Freude in den Armen lagen. Soeben hatten die drei Olympia-Debütantinnen Han Ying, Hauptgefreiter Petrissa Solja und Shan Xiaona im Halbfinale sensationell die Japaner bezwungen – nach vier Stunden Spielzeit und einem 3:2-Sieg. Mit der zu diesem Zeitpunkt schon sicheren Silbermedaille schrieben sie Geschichte. Noch nie in der Olympiahistorie hatten die DTTB-Damen zuvor Edelmetall gewonnen und es war überhaupt erst die zweite Medaille für europäische Damen seitdem Tischtennis olympisch ist. Die klare Finalniederlage zwei Tage später gegen die übermächtigen Chinesen war eine Zugabe, die sie zwar deutlich verloren, aber die Freude über das Erreichte kaum trübte.

Drama im Halbfinale: „Ich habe mein Herz in die Hand genommen“

Am Ende sorgen nur Millimeter für den historischen Erfolg gegen Japan. Han Ying wehrte den Schuss von Ai Fukuhara noch irgendwie mit der Rückhand ab, der Ball segelte im seitlichen Bogen über das Netz, titschte auf die Kante und flog seitlich weg – unerreichbar für die nur 1,56 Meter kleine Japanerin. Han Ying schmiss ihren Schläger weg und riss die Arme hoch, die Teamkolleginnen stürmten die Box. Es war der Matchball zum 11:9, im entscheidenden 5. Satz des entscheidenden 5. Matches. Tränen, Jubel, Fassungslosigkeit – auch Petrissa Solja war nach dem Krimi richtig mitgenommen. „Mein Kopf dreht sich, ich bin total groggy. Tut mir Leid, wenn ich heute keine ordentlichen Sätze herausbekomme“, sagte die Sportsoldatin zu einer ganzen Schar deutscher Journalisten. „Mir haben es ja jetzt schon öfter Leute gesagt, dass wir eine Medaille haben. Irgendwie kann man es glauben und irgendwie auch nicht. Das war das Härteste, was ich in meiner jungen Karriere erlebt habe. Bei Olympia kämpft man meistens mehr mit sich als mit dem Gegner.“ Dabei hatte Solja den Grundstein für die Sensation im Auftakteinzel gelegt. Die 22-Jährige bezwang den 15-jährigen Nachwuchsstar Japans, Mima Ito, in fünf Sätzen. Mit 3:9 (!) hatte Solja im Entscheidungssatz zurückgelegen. „Es hat sich gelohnt dass ich mein Herz in die Hand genommen habe. Mit dem 1:0 habe ich uns Hoffnung gegeben, dass wir es wirklich schaffen können“, so die Weltranglisten-15., die die letzten beiden Duelle gegen Ito verloren hatte.

Silber, dass wie Gold strahlt

Nicht minder spannend waren die folgenden Partien. Im zweiten Einzel hatte Han Ying eine deutsche 2:0-Führung auf dem Schläger, verlor jedoch gegen Japans Topspielerin Ishikawa nach einer 2:0-Satzführung in fünf Sätzen. Im Doppel waren Shan/Solja schon auf der Verliererstraße, lagen im vierten Durchgang 3:6 hinten, drehten den Spieß aber noch um und gewannen ebenso im Entscheidungssatz. Nach der Niederlage von Shan Xiaona gegen die starke Ishikawa musste das letzte Einzel zwischen Han Ying und Japans Superstar Ai Fukuhara die Entscheidung bringen. Im fünften, alles entscheidenden Satz, führte die Deutsche mit 7:3. Doch Fukuhara holte auf, plötzlich stand es 9:7 für die Japanerin. „Da habe ich gedacht, ich habe meine Chance versaut. Dann habe ich mir aber gesagt, es ist noch nicht vorbei, kämpfe einfach weiter“, erzählte Han Ying im Anschluss. Der Kampfgeist der Weltklasse-Abwehrspielerin wurde belohnt. Und auch wenn es ein glücklicher Matchball war, am Ende war es auch der verdiente Lohn.
Im Finale blieb die Sensation gegen die Chinesinnen schließlich aus. Die Spielerinnen aus dem Reich der Mitte hatten bis zum Finale nur einen einzigen Satz abgegeben. Und auch gegen die Deutschen hatten sie beim 3:0 kaum Mühe. Immerhin konnte das Doppel Solja/Shan den Olympiasiegerinnen noch einen zweiten Satz abringen und dabei ein freudiges, etwas selbstironisches Lächeln nicht verbergen. Aber irgendwie war das Finale mehr Zugabe als Ballast, die Silbermedaille strahlte sowieso wie Gold.

Ein verhängnisvolles Versprechen

Nach der Siegerehrung und Presseterminen ging es für die Silber-Mädels ins deutsche Haus, wo sie schon am Vorabend einen kurzen Premieren-Besuch gefeiert hatten. Diesmal wurden sie als Medaillengewinnerinnen empfangen. Zur anstehenden Party prophezeite Solja: „Ich denke mal nicht, dass die Tischtennisspieler so extrem sind wie die Hockeyspieler. Wir wollen nicht negativ auffallen, werden gemütlich zusammensitzen, quatschen, die Spiele noch mal Revue passieren lassen.“ Das „Abreißen“ des deutschen Hauses überließ das Silber-Trio dann doch lieber dem Gold-Turner Fabian Hambüchen.
Natürlich war die Silbermedaille in Rio alles andere als selbstverständlich. Han, Solja und Shan und Ersatzspielerin Sabine Winter hatten sich in den vergangenen drei Jahren gemeinsam mit den anderen DTTB-Kader-Athletinnen kontinuierlich weiterentwickelt. Zuletzt wurde Team-Deutschland dreimal Team-Europameister in Folge. Han Ying ist als Nummer sieben der Welt unter den Top Ten vertreten und die beste Abwehrspielerin der Welt. Die 22-jährige Petrissa Solja machte 2015 einen großen Karriereschritt, wurde unter anderem Dritte beim World Cup und hat sich in den Top 20 etabliert – wie auch Shan Xiaona. Für Solja könnte die Medaille aber noch ein kleines Nachspiel haben. Sie versprach vor Rio, sich im Falle eines Medaillengewinns die Olympischen Ringe tätowieren zu lassen: „Die Medaille habe ich auch das ganze Leben lang. Warum soll ich das auch nicht jeden Tag mit mir tragen?“

Text: DTTB Fotos: ITTF

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